Samstag, 21. März 2009

Teil 3: Freitag, der 24.7.1987

Vor zwei Stunden ist Jörg mit den anderen mit dem Bus wieder zuhause vor dem Feuerwehrhaus angekommen.
Von den meisten die Eltern sind schon da gewesen und haben gewartet. Jörg seine Mama und Papa sind aber immer noch nicht gekommen. Es ist ganz schön heiss und Jörg hat tüchtig Durst. Alle haben für die Rückfahrt von Warendorf eine Capri Sonne gekriegt, Jörg hat seine sofort getrunken.
Er sitzt auf seiner Tasche und wartet. Ihm ist langweilig und er ist schon ein paar Mal um die Feuerwache rumgelaufen. Es ist heute auch niemand da, weil Schützenfest ist. Also wartet Jörg ganz alleine. Auch der Spar ist zu und nur ganz selten fährt ein Auto vorbei. Jörg kann seinen eigenen Körpergeruch wahrnehmen, er findet, dass er ganz doll nach Sonne riecht. Sein Schweiss ist ganz klebrig, weil er Durst hat.
Plötzlich kommt da der blaue Ascona von den Meiers. Die wohnen zwei Häuser weiter und haben einen größeren Hof, wo Jörg's Papa öfters hilft. Der Papa von Jörg hat einen Trecker und ein paar Maschinen. Weil aber damals der Opa das ganze Land verpachtet hat, muss der Papa jetzt bei den anderen Höfen mithelfen. Dafür kriegt der dann Geld.
Die Ingeborg, dass ist die älteste Tochter von dem Meier, die ist schon 24, steigt aus. "Hallo, Jörg." sagt sie und nimmt seine Tasche und tut die in den Kofferraum. Jörg ist jetzt ganz taub im Kopf und sein Bauch ist ganz komisch auf einmal. Ingeborg guckt ihn nur an und sagt nichts. Jörg steigt in den blauen Ascona, weil er versteht, dass er hier mit muss. Als Ingeborg das Auto anmacht, geht das Radio an. Da kommt "Santa Maria" von Roland Kaiser und Ingeborg macht das Radio wieder aus.
Mit dem Auto dauert es fünf Minuten bis zum Haus wo Jörg wohnt.
Als er in die Küche kommt, sitzt da die Mama mit der Frau Meier und guckt aus dem Fenster. Die Mama merkt erst gar nicht das Jörg da ist, als sie ihn sieht, weint sie. Das hat Jörg noch nie gesehen. Jörg weiss jetzt, dass sein Papa tot ist.
Mama sagt es ihm zwei Tage später auch nochmal, vorher sagt sie gar nichts. Jörg hat auch ab und zu deswegen geweint. Mama sagt auch noch, dass der Papa beim Arbeiten einen Unfall hatte.
Nach den Sommerferien erzählen die anderen Kinder sich in der Schule, dass der olle Pruschinski, schon Freitag Mittag so besoffen war, dass er beim Gülle abpumpen an der Grube abgerutscht ist. Die Grube war beinahe leer, aber Bertholt Pruschinski ist mit dem Kopf zuerst aufgeschlagen und mit dem Gesicht nach unten liegend nach einigen Minuten ertrunken. Er wurde erst ca. 30 Minuten später so aufgefunden.
Das hat die Mama dem Jörg aber nie gesagt.

Freitag, 23. Januar 2009

Teil 2- Zeltlager bei Warendorf

Vor vier Wochen ist Jörg 12 geworden. Das hat er sich bestimmt schon seit er 7 ist gewünscht. Heiko, der ältere Bruder von Jens war damals schon bei der Jugendfeuerwehr, erst mit 12 darf man da rein.
In den Sommerferien macht die Jugendfeuerwehr immer ein Zeltlager. Nach Feierabend kommt da immer Berding, einer der Einsatzleiter von der richtigen Freiwilligen zum Aufpassen, sonst sind die Gruppenleiter alleine und das geht nicht.
In der Jugendfeuerwehr sind auch nur Jungen, weil die Mädchen alle nicht wollen. Das ist so. Deswegen ist Jörg auch ganz froh, wegen dem Zeltlager. Nicht bloß, weil er dann nicht mit Mama nach Noderney muss, sondern auch weil das viel witziger ist hier.
Das Zeltlager geht schon 4 Tage und die haben schon alle zusammen einen großen Ausguck im Wald gebaut. Der Sommer ist 1992 ziemlich heiss, mehr wie sonst. Mit dem Ausguck kann man sehen, ob es im Moor nochmal anfängt zu brennen wie vor zwei Wochen. Tut es aber nicht.
Im Zelt schläft Jörg neben Jens, weil das sein bester Freund ist, auch wenn Jens das nicht zugeben will. Jetzt nachmittags spielen die anderen alle Fussball, dass findet Jörg nicht so toll. Die Großen haben solche Praline und Coupe Hefte gekauft. Jörg weiß das, die meisten durften auch gucken, aber er nicht. Weil die Batterien vom Walkman alle sind, kann Jörg die TKKG- Kasette nicht weiterhören. Der Ton hat schon voll geleiert. Er guckt so'n bisschen an die Decke vom Zelt, wie die Fliegen versuchen, rauszukommen.
Jetzt erinnert sich Jörg an die Hefte. Er weiss, dass die bei Dirk Hinrichs unter der Isomatte liegen und holt sich die rüber zum lesen. Plötzlich klopft sein Herz ganz dolle und die Gläser von der Brille beschlagen ganz doll. Jörg merkt, dass er voll den Steifen hat, kennt er aus der Schule. Die Sonderschule ist bei der Orientierungsstufe wo Jörg hingeht mit dran. In der Pause kommt manchmal einer von denen und zeigt den Mädchen seinen Steifen. Wenn der Lehrer den dann erwischt, kommt immer die Mama von dem und zieht dem an den Haaren und bringt den im Auto nach Hause. Die anderen lachen sich immer voll kaputt und nennen den Behindi und so.
Jörg merkt gerade, dass er sich den Steifen ganz doll auf der Luftmatraze reibt. Er kriegt Lust, die Hose runterzuziehen und legt sich in den heissen Schlafsack. Jörg reibt noch ein paar mal und kriegt dann ganz schnell ein schönes Gefühl. Das hat er auch schon öfter gemacht aber diesmal merkt er ein ganz starkes Klopfen und alles wird nass an seinem Bauch. Erst denkt Jörg, dass er Pipi gemacht hat, aber dann weiss er, dass das ein Samenerguss war. Davon erzählen die immer in der Schule, aber Jörg findet den Sexkram sonst immer langweilig. Aber irgendwie denkt er jetzt, dass er auch cool ist. Ein bisschen wie die Größeren.
Als Jörg abends vom Zähneputzen kommt, hört er, wie die anderen im Zelt tierisch lachen. Jörg läuft ganz schnell hin. Dann sieht er wie die anderen seinen Schlafsack hin und her werfen. "Sprühspritzki!" schreit einer und die anderen lachen alle noch lauter über Jörg Pruschinski.

Montag, 12. Januar 2009

Teil 1- Die Tapete im Kinderzimmer

"Jörg, dat Essen is fertich!" Er sieht von seinem Golf Tuningmagazin auf. Sein Blick fällt direkt auf die Wand. Jörg findet es schön, wenn sich sein Blick im Ovalmuster der grau- beigen Tapete verliert. Das Muster ist schon immer da. Die Tapete ist schon immer da.
Jörg hat auch immer schon Samstags morgens in Automagazinen gelesen. Und bis um neun geschlafen, vier Stunden länger als in der Woche. Mama geht da immer einkaufen, dann gibt es Brötchen mit Nutella und mit Kinderwurst. Dann geht er wieder hoch ins Kinderzimmer, macht seine Anlage und hört sich die Musik an, die ihm sein Freund Jens immer auf Kasette macht.
Jedenfalls war das früher immer auf Kasette, seit ein paar Jahren macht Jens die Musik jetzt immer auf CD. "Bei Sommer haben die bald gar keine Kasetten mehr", meinte er damals. Ton & Technik Sommer heisst das Geschäft in Diepholz. Da hat sich Jens dann auch eine neue Anlage geholt, das ist 1998 gewesen an Weihnachten. Mama hatte damals noch die Hälfte dazu gegeben.
"Ja, Mama!" Essen ist Samstags immer um eins, Mama fängt meistens schon mit Kochen an, wenn Jörg noch am frühstücken ist. Er liest dann immer Zeitung, weil am Wochenende ist da immer das Kinoprogramm drin und man gucken was im Empire zum Beispiel los ist.
Jörg isst meistens sehr schnell. Er atmet dabei sehr schwer durch die Nase. Natürlich kriegt er das selber nicht mit. Aber Mama guckt ihn dann manchmal an. Ob der vielleicht mal zum Arzt muss? Essen tut er aber gut, denkt sie dann.
Warum genau er das jetzt sagt, weiss Jörg nich genau. Er atmet zweimal durch, weil er ganz schön aus der Puste ist, vom Insichreinstopfen.
"Mein Zimmer kann man wohl mal neu tapezieren." Er stopft noch einen Löffel rein. Mama sagt nix, deswegen sagt Jörg nochmal mit vollem Mund: "Mama..".
"Wieso? Ist die nicht mehr gut?" fragt Mama.
"Was?"
"Die Tapete. Ist die nicht mehr gut?"
"Mama, die ist da ja schon immer dran."
"Kannst du das denn?"
"Was?"
"Kannst du denn selber tapezieren?"
Jörg hatte damals mit Jens schon das Schlafzimmer von Mama neu tapeziert, wo das da geschimmelt hat in der Ecke.
"Joah, geht wohl." meint Jörg. Er ist fertig mit Essen und steht auf.
Als er wieder im Kinderzimmer ist, guckt er nochmal zur Tapete. Plötzlich ist das Muster irgendwie doof. Jörg möchte lieber Weiss haben.

Mittwoch, 7. Januar 2009

Lange war hier gar nix..

..wie trostlos! Aber das geht noch schlimmer.
Denn schon bald werde ich hier in Episoden Auszüge aus dem Leben von Jörg Pruschinski, Flüchtlingskind in dritter Generation aus dem Landkreis Diepholz, veröffentlichen.
Ich offeriere dem geneigten Leser den Rausch der vollkommenen Ereignislosigkeit. Details einer Existenz bar jeder Zielsetzung und Spiritualität.